Wo soll man bei der Trondheimerin mit dem Staunen anfangen? Bei Fe-mail, ihrem radikalen Duo mit Hild Sofie Tafjord? Beim Miteinander mit Lasse Marhaug oder Phantom Orchard? Ihren Brecht-Songs mit Poing? Bei Spunk, gipfelnd im 12-jährigen Zyklus “Das Wohltemperierte Spunk”? Bei ihrer Kollaboration mit Elfriede Jelinek und Sophie Rois beim Hörspiel “Neid”, oder der mit Stephen O’Malley bei “Engebøfjellet; Where were you when they cut me down from the gallows?” für deep brass orchestra and electric guitar? Bei ihrem haarsträubenden “Concerto for Voice (moods IIIb)” mit dem Ensemble Intercontemporain? Mit “Crepuscular Hour” überwölbt die für Unerschrockenheit werbende Norwegerin ihr OEuvre mit einer grandiosen Kuppel: drei Chöre, drei Paar Noisemusiker und Kirchenorgel! Uraufgeführt 2010 beim Ultima Festival in der Uranienborgkirche in Oslo, ist hier die Aufführung beim Huddersfield Contemporary Music Festival am 20.11.2012 zu bewundern. Mit Nils Henrik Asheim an der Orgel und dem Sound einer gestrichenen Gitarre und weiterer Gitarreneffekte von Stian Westerhus, des Waldhorns von Hild Sofie Tafjord und des Saxophons von Antoine Chessex sowie elektronischem Zwielicht von Phil ‘Cheapmachines’ Julian, Mark ‘Putrefier’ Durgan und Lasse Marhaug. Aus einem schwach beleuchteten Halbdunkel heben die erhoben postierten Chöre mit Zeilen aus dem “Apokryphon des Johannes” und “Bronte (The Thunder, Perfect Mind)” an, gnostischen Nag Hammadi-Schriftrollen, in die Ratkje sich auch schon bei ihrer Kurzoper “No Title Performance and Sparkling Waters” (2002) vertieft hatte. Der intensiv anschwellende Gesang und die dröhnende und schillernde Geräuschwelt suggerieren ein Chaos aus Schall und Rauch, das von Mondlicht und milchigen Scheinwerfern durchstoßen wird. Das Publikum steht in der Mitte, von allen Seiten beschallt von Sound und gebändigtem Furor, von sublimer, von den Frauenstimmen zart gewebter, von männlichem Ruach oder Pneuma durchatmeter Schönheit … she surrounded it with a luminous cloud / and its eyes were like lightning fires / and she let fall a droplet of light / behold! … Kathy Hinde verbindet das Konzert mit Bildfolien aus Gold, Blau und Rötel, auf denen, mit Zweigen verhängt, die Wörter tanzen, die von Barbelo und Sophia singen und von ihren androgynen, aus Licht geschöpften Geschöpfen. Eine Kantorenstimme hebt sich solistisch hervor. Dem vielzungigen Flehen Come forward to me erwidert die Göttin Why? Call & Response. Und dazu beginnt nun die Orgel mit Feuerzungen gewaltig zu dröhnen. Be on your guard! Zu Horn und bowed guitar und allen geöffneten Stimmschleusen. I AM WAR! / And I am peace / I am the silence that is incomprehensible / HEEEEEEAAAAAR! Bis zuletzt die Mondin die Hand hebt und Stille einkehrt. Wer sagt, dass ‘solche’ Musik in unseren entheiligten letzten Tagen nicht mit Bayreuth oder Wacken konkurrieren kann oder soll? Dass anschwellende Bocksgesänge nicht auch noch Hymnen an Isis neben sich brauchen? Mein bereits von Schnittkes Requiem geflauschtes Gefieder sagt etwas anderes. Wieso sollte die erschütternde Kraft des Tones, die Nietzsche als enthusiasmierend beschworen hat (“en-theos” meint: von der Göttin durchdrungen), in Ratkjes quasi-rituellem Update nicht zur “thymischen Kommunikation” (Hubertus Tellenbach) taugen? Mir scheint hier jedenfalls der weibliche Anspruch, als gleich anerkannt zu werden (Isothymia), Hand in Hand zu gehen mit dem musikalischen Vermögen, Gegensätzliches orchestrierend zu koinzidieren.
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