Ein Album, das eigentlich eine Karriere abschließen könnte. Aber »Das Wohltemperierte SPUNK« ist überhaupt mehr als nur ein Album. Die 6-CD-Box verbindet Welten und Genres, transzendiert die Idee von Musik als Kunst auf eine umfassendere Ebene, mehr noch als norwegische Musiker das sonst ohnehin tun: High Art (beginnend mit dem Jahrhunderte alten »B-A-C-H«, wie der Titel des Großprojekts unmissverstädnlich klarstellt) und obskure Improvisation, Performance Art und Konzeptkunst, ja, sogar ein Porträt des täglichen Lebens und der Stadt Oslo wurde hier in Musik/Kunst gegossen.
Ein Konzert über einer Note zu schreiben oder zu spielen, ist Herausforderung genug. Die vor fast zwanzig Jahren aus dem akademischen Kontext der Musikhochschule in Trondheim geborenen Spunk beziehen sich hier auf die Tradition des 20. Jahrhunderts von Scelsi und Stockhausen. Aber gleich zwölf Konzerte über jeweils einem Ton (genau: die Zwölfton-Musik) zu improvisieren, selbst das war dem Quartett nicht genug. Jeder diesen Performances gaben sie nur eine einzige Chance, zu einem ganz spezifischen Zeitpunkt — und dann auch an zwölf komplett verschiedenen Orten in und um Oslo. Das erste Konzert am 20.01.2001 um 20:01, das zweite am 20.02.2002 um 20:02 — und so weiter, bis natürlich im Dezember 2012 der Zyklus beendet wurde, jeweils an einem eigens dafür gewählten Ort, sei es das Dach des architektonisch signifikanten Opernhauses, ein geschäftiges Einkaufszentrum, dessen Laufkundschaft absichtlich nicht auf die experimentelle Musik vorbereitet wurde, oder zwei verschieden klingende Kirchen: Jeder Ort bestimmt das Klangbild der jeweiligen Performance inszenatorisch mit, sorgt für entsprechende Farben, Räume, Nebengeräusche, Offenheit oder Intimität.
Die Musik selbst, mit der rein akustischen Besetzung von Cello, Trompete, Horn und Stimme erzeugt im angeregten Dialog oft einen minimalistisch-meditativen Sog, erinnert teils an das gegenwärtige Drone-Genre, ist aber, Spunk-üblich, natürlich vollkommen improvisiert. Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht die Kunst. Und zwischen dem komponierten Eindruck und dem meisterhaften Impro-Niveau, das die vier über die vergangenen zwei Jahrzehnte erreicht haben — alle sind auch in unterschiedlichsten Band und Kontexten unterwegs, komponieren für andere — entstand so ein ebenso radikales wie einzigartiges Großwerk der norwegischen Musikgeschichte, das einerseits das 20. Jahrhundert verabschiedet, andererseits aber auch ein Monolith für die Zukunft. (ijb)
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