Berliner Zeitung
MAERZMUSIK – Alles am ersten Wochenende: Ein Labyrinth aus den 60ern, Dantes Friedensbotschaft, Spiele mit dem Klangspektrum und norwegisches Kreischen.
Jens Balzer 22.03.2004
Die norwegische Künstlerin Maja Ratkje gehört zu den erstaunlichsten und interessantesten Stimmen, die man gegenwärtig im Gehege zwischen Free Jazz, elektronischer Avantgarde und Industrial finden kann. Seit den Neunzigerjahren arbeitet sie als Komponistin elektroakustischer Musik; in dem Free-Jazz-Quartett Spunk übt sie sich seit der gleichen Zeit in der Kunst des Improvisierens. Ihr Solodebüt “Voice” (Berliner Zeitung v. 25. 4. 2003) war eines der besten Popalben des vergangenen Jahres: Kaum sonst irgendwo wurden stimmliche Improvisation und elektronische Experimente, die scheinbare Authentizität des befreiten Gesangs und die künstlerisch rundum durchreflektierte Manipulation des akustischen Materials so klug und zugleich so ohrenbetäubend intensiv und erregend miteinander verbunden wie hier.
Im Rahmen der MaerzMusik war Ratkje nun zum ersten Mal live in Berlin zu erleben. In der Nacht zum Sonntag gastierte sie in der Sonic Arts Lounge: im Duett mit der Elektronikerin und Hornistin Hild Sofie Tafjord, die ebenfalls aus dem Spunk-Quartett kommt. Unter dem Namen Fe-Mail haben die beiden unlängst eine Industrial-Platte namens “Syklubb fra Hælvete” vorgelegt (“Nähklub aus der Hölle”, erschienen bei dem norwegischen Label TV5). An deren musikalischen Vorgaben orientierte sich auch dieser Auftritt: Es ging um die Erzeugung an- und abschwellenden Krachs mit elektronischem und elektroakustischem Gerät.
Das war einerseits ein bisschen schade: denn Ratkje sang im Verlauf des Abends nur fragmentweise und selten; die enorme Wandlungsfähigkeit ihres Gesangs zwischen schönklingenden Koloraturen und den entgrenzten Stakkati des Scat, zwischen Glucksen und Kickern und schrillem Geschrei kam nur mäßig zur Geltung. Durch den alternativen Vielklang der mechanisch kracherzeugenden Mittel wurde man andererseits mehr als entschädigt: durch die ebenso humorvolle wie konzentriert quälende Weise, in der Ratkje und Tjaford elektronische Loops, elektroakustische Pedaleffekte und das verrauschte Schnarren eines Diktaphon miteinander verbanden.
Ganz am Ende griff Tafjord zum Horn und presste tiefe Rülpser hinein – während Ratkje mit traumwandlerisch tänzelnden Gesten das elektromagnetische Feld eines Theremins zu manipulieren begann. Gegen das längst wie maschinenhaft in sich selbst verkapselte weiße Rauschen der Loops eroberten sich menschlicher Atem und Körper ihre welterschließende Geltung zurück: den simplen Negativismen der sonstigen Avantgarde ist dieses Duo um Lichtjahre voraus.